Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Steigende Kurse schon seit über 10 Jahren. Wer jetzt investieren will, fragt sich zwangsläufig, ob die Preise überbewertet sind. Sollte man mit seinem Investment auf einen Kurseinbruch warten?

Wer aktuell eine größere Summe investieren will, weil er zum Beispiel einen Bonus oder eine Erbschaft erhalten hat oder weil er seit Jahren spart und endlich in den Aktienmarkt einsteigen will, fragt sich zwangsläufig, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Sollte man die gesamte Summe direkt investieren? Oder lieber auf einen Einbruch warten und dann zu günstigeren Preisen einsteigen?

Die letzten 10 Jahre sind die Märkte unaufhörlich gestiegen und wer jetzt investieren will, hat schnell das Gefühl Assets zu teuer zu kaufen. Der ultimative Albtraum eines jeden Investors ist es, den falschesten aller Zeitpunkte zu erwischen und kurz vor einem Crash einzusteigen. Das durch den Crash entwertete Investment könnte bei einem ungünstigen Marktverlauf jahrelang nicht mehr das Einstiegsniveau erreichen. Wer allerdings auf den Einbruch wartet, hat das Risiko, dass die Märkte trotz langem Bullenmarkt weiter steigen könnten. Vielleicht sogar über viele Jahre.

Die Kernfrage lautet also, sollte man jetzt investieren oder besser abwarten?

Unzählige Studien zeigen, dass Markettiming nicht zuverlässig funktioniert. 1 | 2 | 3 Markettiming bezeichnet eine Strategie, bei der ein Anleger Wertpapiere zu möglichst niedrigen Kursen kauft und zu möglichst hohen Kursen wieder verkauft.
Das dies nicht zuverlässig funktioniert ist für viele Anleger nachvollziehbar. Schließlich lassen sich die Märkte nicht genau vorhersagen und das Rein und Raus verursacht hohe Transaktionskosten. Aber lässt sich nicht wenigstens der Einstieg in den Markt timen? Denn wenn es Investoren mit einem Buy and Hold-Ansatz gelänge zu günstigen Kurse einzusteigen, wäre das ein toller Vorteil. Diese Strategie nenne ich Markteinstiegs-Timing (in der Literatur auch VerlustschwellenTiming) mit anschließendem Buy and Hold.

Die Strategie funktioniert so: Es wird eine Verlustschwelle (z. B. 20%) für einen ETF definiert (z. B. MSCI World). Sobald die Kurse einbrechen und die Schwelle unterschritten wird, investiert der Anleger einen vorher definierten Betrag. Nach diesem Markteinstieg bleibt der Anleger in Aktien investiert und betreibt eine Buy and Hold-Strategie. Das heißt, er sitzt zukünftige Abschwünge aus und unterscheidet sich von einem Sofort-ohne-Warten-Investor und einem Sparplan-Investor nur durch den Einstiegszeitpunkt.

Markteinstiegs-Timing ist also eine einfache, regelbasierte und antizyklische Strategie. 4 Das macht sie so attraktiv.

Analyse von Gerd Kommer

Nun habe ich gerade eine hochinteressante Analyse von Dr. Gerd Kommer gelesen. Die Lektüre des Blog-Beitrags kann ich nur jedem Leser wärmstens empfehlen.

Gerd Kommer ist Finanzexperte und hat die ETF-Bibel „Souverän Investieren mit Indexfonds und ETFs: Wie Privatanleger das Spiel gegen die Finanzbranche gewinnen*“ geschrieben und ist einer der renommiertesten und versiertesten ETF-Experten Deutschlands.

Kommer und Mitarbeiter haben den globalen Aktienmarkt (MSCI Index) in einem Backtest (Prüfung anhand historischer Daten) über die letzten 49 Jahre (1970 bis 2018) analysiert und geschaut, ob Markteinstiegs-Timing mit anschließendem Buy and Hold erfolgreicher war als sofortiges Investieren ohne Warten.

Dabei wurden Verlustschwellen in 5%-Schritten von 5% bis 50% definiert. Beispielhaft berichte ich hier die Ergebnisse für drei Verlustschwellen.

Historische Erfolgswahrscheinlichkeit (blau) und jährliche Mehrrendite (grün) für verschiedene
Verlustschwellen (orange) verglichen mit sofortigem
Einmalinvestment und anschließendem Buy and Hold für 49 Jahre (1970 bis 2018). Daten aus Weis & Kommer (2019) 5

Verlustschwelle 10%
Ein Einstieg über eine Verlustschwelle von 10% wurde in den untersuchten 49 Jahren in 50% der Fälle erreicht. Damit stiegen 50% der Anleger in den Markt ein. Sie erzielten eine durchschnittliche Mehrrendite von 0,2% p.a., verglichen mit einem Einmalinvestment zu Beginn des betrachteten Zeitraums. 5

Verlustschwelle 20%
Ein Einstieg über eine Verlustschwelle von 20% wurde in 30% der Fälle erreicht. Damit stiegen also nur 30% der Anleger in den Markt ein. Sie erzielten eine durchschnittliche Mehrrendite von 0,8% p.a., verglichen mit einem Einmalinvestment zu Beginn des betrachteten Zeitraums. 5

Verlustschwelle 30%
Ein Einstieg über eine Verlustschwelle von 30% wurde in 22% der Fälle erreicht. Damit stiegen in diesem Szenario nur 22% der Anleger in den Markt ein. Sie erzielten eine durchschnittliche Mehrrendite von 1,3% p.a. verglichen mit einem Einmalinvestment zu Beginn des betrachteten Zeitraums. 5 Man muss sich hier klar machen, dass damit knapp 80% niemals in den Markt einstiegen wären.

Ich finde diese Ergebnisse ziemlich eindrücklich und überraschend. Die Markteinstiegsschwellen wurden viel seltener erreicht, als ich vermutet hatte und die Outperformance war deutlich geringer, als ich gedacht hätte.

Mit der Strategie Sofort Investieren mit anschließendem Buy and Hold hätte man über die letzten 49 Jahre eine durchschnittliche Rendite von 7,5% p. a. erzielt. 5 Bei der Anwendung von Markteinstiegs-Timing mit anschließendem Buy and Hold und einer Einstiegsschwelle von 30% und hätte man eine um 1,3% höhere durchschnittliche Rendite von 8,8% p.a. erzielt. Allerdings wären nach dieser Regel knapp 80% niemals in den Markt einstiegen und hätten nur eine sehr niedrige bis gar keine Rendite eingefahren.

Rechnet man die Anleger, die die Verlustschwelle nie erreichen mit ein, ist das Sofort Investieren in allen Fällen erfolgreicher als Markteinstiegs-Timing. 5

Auch psychologisch gesehen, stellt Markteinstiegs-Timing Anleger vor Herausforderungen. Oft werden sie, nachdem sie zunächst erfolglos einige Jahre Markteinstiegs-Timing betrieben haben, ihre Verlustschwelle zunächst absenken. Wenn diese Verlustschwelle dann auch nicht erreicht wird, steigen sie schließlich zu deutlich höheren Kursen ein, als es zu Beginn möglich gewesen wäre. Dabei gilt oft: Strategien, die abgebrochen werden, produzieren besonders schlechte Ergebnisse. 5

Trotz dieser eindrücklichen Ergebnisse, werden viele Anleger weiter versuchen Markteinbrüche vorherzusagen. Wem das tatsächlich gelingt, der kann bessere Renditen einfahren. Dies wird in vielen Fällen aber weniger von der richtigen Einschätzung als vom Zufall abhängen. Die meisten Anleger werden durch die Strategie Renditeeinbuße hinnehmen müssen.

Fazit

Da Aktienmärkte langfristig steigen und Prognosen unzuverlässig sind „ist der Einstieg grundsätzlich umso erfolgversprechender, je früher und je umfangreicher er geschieht“. 6

Anleger, die Markteinstiegs-Timing betreiben, werden in vielen Fällen gar nicht oder zu spät in den Markt einsteigen.

Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich geplant habe einen Teil meines zu investierenden Kapitals mit Markteinstiegs-Timing zu investieren. Als Verlustschwelle habe ich für die erste Investition 10% definiert und für die zweite 20%. Ich werde nun aber aufgrund des aufschlussreichen Artikels meinen Verlustschwellen-Ansatz überdenken und möglicherweise ganz verwerfen.

„Market Timer sind entweder sehr ängstlich oder halten sich für besonders kompetent. In beiden Fällen vertrödeln sie langfristig zu viel Zeit am Spielfeldrand. Von dort lässt sich bekanntlich kein Spiel gewinnen.“

Weis & Kommer (2019) 5

Auch der Zinseszins-Effekt kann nur wirken, wenn man investiert ist.

Bedenken sollte jeder Investor, dass die richtige Assetallokation für den langfristigen Erfolg sowie wichtiger ist, als das perfekte Einstiegs-Timing. Studien zufolge werden 90 Prozent des Anlageerfolgs durch die Anlagestruktur bestimmt. 7

Fragen

Wie sollte ich vorgehen, wenn ich noch nichts gespart habe?
Für Anleger, die noch nichts gespart haben, ist die Frage des Einstiegs einfacher. Sie müssen ihre monatliche Sparrate definieren und dann mit einem Sparplan in ein ETF-Portfolio investieren. Dabei werden die Einstiegszeitpunkte in den Aktienmarkt automatisch diversifiziert (Cost-Average-Effekt, dt. Durchschnittskosten-Effekt) und damit das Risiko verringert, zu einem schlechten Zeitpunkt – beispielsweise direkt vor einem Crash – sein Kapital zu investieren.

Text: Dr. Fionna Zöllner | 19.02.2020
Titelbild: Tim Mossholder auf Unsplash

Video und Blogartikel zum Thema

Referenzen

  1. Kommer, G. (2018). Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs: Wie Privatanleger das Spiel gegen die Finanzbranche gewinnen. Frankfurt: Campus Verlag
  2. Estrada, J. (2015). Multiples, Forecasting, and Asset Allocation. Journal of Applied Corporate Finance, 27(3), 144-151. doi: 10.1111/jacf.12138
  3. Dai, W. (2016). Premium Timing with Valuation Ratios«. Dimensional Fund Advisors. Research Paper. Abgerufen von https://my.dimensional.com/csmedia/cms/papers_library/2016/03/premiumt/Premium_Timing_with_Valuation_Ratios_US.pdf
  4. Weis, A. & Kommer, G. (2019). Timing des Markteinstiegs – funktioniert es? Abgerufen am 17.02.2020 von https://www.gerd-kommer-invest.de/timing-des-markteinstiegs/
  5. Weis, A. & Kommer, G. (2019). Timing des Markteinstiegs – funktioniert es? Abgerufen am 17.02.2020 von https://www.gerd-kommer-invest.de/timing-des-markteinstiegs/
  6. Kommer, G. (2018). Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs: Wie Privatanleger das Spiel gegen die Finanzbranche gewinnen. Frankfurt: Campus Verlag, S. 137
  7. Ibbotson, R., & D. Kaplan, P. (2001). Does Asset Allocation Policy Explain 40, 90, 100 Percent of Performance? Yale School of Management, Yale School of Management Working Papers, 56. doi: 10.2469/faj.v56.n1.2327

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